Es gab einmal eine Zeit, da haben die Österreicher dem polnischen „Billig“-Bier generell misstraut – wer sich heute durchkostet, stellt erstaunt fest, wie ungerecht dieses Urteil ist. Die Polen entwickeln eine beachtliche Bierkultur, die sich auch gegen das helle Massenbier durchsetzt.Krakaus einziges Brewpub liegt in einem Souterrain-Lokal, nur einen Steinwurf vom österreichischen Konsulat in Krakau entfernt. „C.K. Browar“ steht auf dem Eingangsschild. Dass „Browar“ für Brauerei steht, kann man sich ja irgendwie zusammenreimen, aber die Sache mit dem C.K. hat mir der Besitzer erst viel später erklärt. Zunächst hat mich die im hintersten Teil des Kellers leuchtende Brauanlage (hergestellt von der Wiener Firma Mavim) gelockt, mich an die Bar zu stellen und die Kellnerin vorsichtig auf englisch zu fragen, welches Bier wohl das hopfigste sei. Ist nicht ganz einfach, auch in guten Brewpubs kann man sich nicht immer darauf verlassen, dass das Personal englisch kann – und polnisch kann ich, wie angedeutet, gar nicht. Die Kellnerin konnte jedenfalls genug englisch, um mich mit dem Wunsch nach einem bitteren Bier auf das „Dunkel“ zu verweisen – und als ich es verkostete und Notizen machte („rotbraun, Röstmalz-Nase, gerade vollmundig, Bittere von Röstmalz und Hopfen“) stand plötzlich ein Herr neben mir, der mich scharf ansah.
„Warum tragen sie so eine Kleidung?“, fragte er direkt und in akzentfreiem Deutsch. Ich antwortete, dass Lederhose und Trachtenhut wohl gut zum Bier passten, was einen erfreuten Aufschrei auslöste: „Ah, dann sind Sie also wirklich der Conrad Seidl?“
Ja, sicher war ich es – doch ich war eher zufällig und unangemeldet in der Freizeit einer eigentlich Militärthemen gewidmeten Reise auf das Lokal gestoßen. Aber Zufälle ist mein Gesprächspartner gewohnt, an der Wiege gesungen war es ihm auch nicht, dass er seit zehn Jahren Besitzer von Krakaus erstem Brewpub ist. Eigentlich wollte er Polen 1980 Richtung Amerika verlassen, blieb dann in Wien hängen, arbeitete am Bau, brachte es schließlich zum Baumeister. Als solcher baute er einen 1300 Quadratmeter großen alten Weinkeller in Krakau zu einer Gaststätte um – „und da wurde ich vom Baumeister zum Braumeister“.
Ja, ich habe gesagt, es wäre ihm nicht an der Wiege gesungen gewesen, aber ein bisschen eine Prädisposition muss Herr Tadeusz Chmiel schon gehabt haben. Er erteilt mir gleich eine Lektion in Polnisch: Sein Familienname „Chmiel“ heißt nämlich Hopfen. Und „Wsciekły Pies“ nennt sich das, was hier in den polnischen Nationalfarben rot-weiß (eigentlich: klar) vor mir hingestellt wird: Ein Wodkaglas, zur Hälfte mit Wodka und, scharf abgegrenzt, mit Himbeersaft gefüllt. Um die polnische Gastfreundschaft und die Nationalgefühle nicht zu beleidigen, kippe ich das hinunter. Dann erst bekomme ich erklärt, was der Name bedeutet: „Bissiger Hund“, denn die im wahrsten Sinne „scharfe“ Trennlinie besteht aus Tabasco. Nicht jedermanns Sache, aber es macht Lust, sich durch die anderen Biere durchzukosten.
Die Breite des Angebots reicht vom „CK Jasne“ (wobei „Jasne“ für „Helles“ steht – ein helles, leichtes und leicht bitteres Lager) über das nach Gewürznelken duftende „CK Weizen“ (der Name ist hier wie beim „CK Dunkel“ auf Deutsch angegeben) bis zum „CK Imbirowe“, einem rotbraunen, leicht nach Tabak duftenden Bier. Heißt „Imbirowe“ vielleicht so etwas wie Tabak? Oder sind es Nüsse, die ich da rieche? Der Antrunk ist jedenfalls rund und weich, aber dann kommt es messerscharf – offenbar mag man hier die überraschende Schärfe, die ich schon in dem Wodka-Himbeer-Tabasco-Drink geschmeckt hatte. Hier aber ist es nicht Tabasco, Imbirowe steht nämlich für Ingwer. Ich erfahre, dass C.K. Browar die einzige Brauerei in Polen ist, die Ingwer als Biergewürz nimmt, und auch die erste in Polen, die sich mit Weizenbier versucht hat – beides kann man ja zumindest als saisonale Spezialitäten auch im Wiener Wieden-Bräu finden.
Aber damit nicht genug der Parallelitäten zwischen Wien und Krakau, beim Hinausgehen weist mich Herr Chmiel noch auf das C.K. und den Doppeladler im Logo hin: „C. K. ist wie im Deutschen k.k., also kaiserlich-königlich“ – auch die auf ihre Nation so stolzen Polen haben also Freude am deutschen und österreichischen Teil ihres Erbes.
Das fällt auch auf, wenn man durch die Krakauer Altstadt geht. Jedes Haus scheint an die Zeit zu erinnern, da Gallizien ein österreichisches Kronland war – und es scheint auch jedes Haus ein Lokal zu beherbergen, wenn nicht ebenerdig, so zumindest im Keller. Oder sogar auf beiden Ebenen – man sagt der Krakauer Altstadt die größte Lokaldichte Europas nach. Nicht alle diese Lokale zeichnen sich durch besondere Bierkultur aus – zwar wird überall gut gezapft, aber meistens ist es eben doch nur das helle Lagerbier. Und das kommt hier in sehr vielen Fällen von der zum Heineken-Konzern gehörenden Brauerei Zywiec, zur Zeit der Monarchie als Saybusch bekannt.
Bitte, nichts gegen die gängigen polnischen Konsumbiere – wir haben so etwas ja auch in unserer Jugend getrunken, als die Bierauswahl mehr vom Geldbeutel als vom Biergeschmack beeinflusst wurde und wir uns immer wieder an den Sonderangeboten im Supermarkt gefreut haben. Oberhalb dieses preiswerten Segments hat sich aber inzwischen ein wesentlich attraktiveres Premium-Segment herausgebildet.
Generell sind gerade die polnischen Premium-Biere etwas voller als man das in Österreich oder gar in Deutschland gewohnt ist – das 5,6 Prozent starke Tyskie dürfte für diese Tendenz recht typisch sein: Goldgelb, mit feinem, kräftigem Schaum, einer fast neutralen Nase, einem vollmundigen, aber nicht süßen Antrunk, kräftigem Körper und gerade genug Bittere, um die esterig-fruchtigen Noten (ein Hauch von Orange) nicht zu erschlagen.
Vernünftigerweise kommen daher in letzter Zeit eher die stärkeren und etwas dunkleren polnischen Biere zu uns – sie sind erstens geschmacksstabiler als die hellen, pilsartigen Lagerbiere und zweitens sind sie auch noch viel interessanter, weil sie sich eben vom Mainstream unterscheiden. Da bekam ich kürzlich das Frater aus der Browar Belgia. Das ist ein erst 1995 in einer ehemaligen Lebensmittelfabrik in Kielce - Dyminy gegründetes Brauunternehmen. Eine Tochter der belgischen Palm-Gruppe, die neben dem in Belgien populären Palm Ale im flandrischen Roeselare auch das weltberühmte säuerliche Rodenbach braut. Hier wurde bewusst an die belgische Bierkultur angeknüpft, indem „das erste polnische Abteibier“ gebraut wurde -– verglichen mit den belgischen Vorbildern relativ leicht (5,8 Volumprozent), aber von einer Bernsteinfarbe mit leichtem Kupferstich, süßlich-malziger Nase, einem vollen, leicht süßen Antrunk und einem kräftigen Körper, der von der ausgeprägten Hopfenbittere und einem feinen, eher kräuterartigen Hopfenaroma sein Rückgrat erhält. Es ist ein Lagerbier, aber eines mit belgischem Einschlag und einem echten Kloster (mit dem schwer aussprechbaren Namen Szczyrzyc) im Hintergrund. Vor allem hat das Frater mit den belgischen Bieren gemeinsam, dass es auch deutlich über das Ablaufdatum hinaus attraktiv zu trinken bleibt.
Ähnliches gilt auch für andere dunkle Biere. Das Masuren-Dunkel (das steht tatsächlich deutsch auf dem Etikett) zum Beispiel: Rötlich-schwarz schimmert es im Glas, kein allzu ausgeprägter Schaum, aber dafür eine süßliche, gewürzhafte Nase, fast ein Hauch von Gewürzkräutern dabei. Der Antrunk ist erwartbar vollmundig, die Süße ist aber nicht aufdringlich. Ein sehr rundes, wenig bitteres Bier wie aus alten Zeiten, geeignet eher für einen Drink nach dem Abendessen (immerhin handelt es sich um ein Bockbier von 6,5 Prozent Alkohol) als für einen erfrischenden Schluck zwischendurch.
Polens attraktivstes Bier ist leider in den Lokalen Krakaus schwer zu finden, auf der Terrasse des Café Pod Białym Orłem („Unter dem weißen Adler“) kann man es aber mitsamt Blick auf die Tuchhalle und die Marienkirche genießen: Das Zywiec Porter. Es ist ein schwarzes untergäriges Bier im Stil eines „baltischen“ Porters – sehr vollmundig, ohne süß zu sein, mit einer intensiven Schokoladennase und einer kakaoartigen Bittere im Nachtrunk ist dieses neuneinhalb Prozent starke Bier tatsächlich das beste Bier für den Genuss im Kaffeehaus (womöglich mit einem Schokoladekuchen dazu). Und es hat den zusätzlichen Vorzug, dass es praktisch unbegrenzt haltbar ist. Na Zdrowie!
(Erstveröffentlichung in: Falstaff 4/2006)
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