30.8.06

Genießer im Wahlkampf

Ein paar Anmerkungen zur Politik und dazu, was wir Genießer von der Politik erwarten können. Oder präziser: Was wir als Wähler von der Politik verlangen müssen, wenn uns Genuss ein Anliegen ist.

Es gab einmal eine Zeit, da galt als typisch für österreichische Politik, dass die Volksvertreter eine einfache, aber wirksame Genusskultur pflegen und damit dann auch einen unmöglich scheinenden Konsens zustande bringen. Erst bei den Staatsvertragsfeiern des Vorjahres wurden uns die Anekdoten von Raab und Figl, die die Russen mit Grünem Veltliner und dem Absingen der „Reblaus“ weich gemacht haben sollen, wieder und wieder erzählt. Und wenn es auch nicht ganz die historische Wahrheit ist, eine höhere Wahrheit liegt irgendwie doch darin.

Jetzt, wo landauf, landab Politiker um unsere Stimmen werben, kann man aus der Nähe überprüfen, ob diese Wahrheit auch heute noch gilt. Sind das Genießertypen, die da auftreten? Ja, manche sind das gewiss – aber es zeugt von einem Gesinnungswandel der Gesellschaft, dass das gerade diesen Personen vorgeworfen wird: Der eine Politiker „zu dick“, der andere „zu kundig in Sachen Rotwein“, ein dritter ein Spargelesser und „Chianti-Koalitionär“. Und überhaupt die abgelaufene EU-Präsidentschaft: Da wurde doch tatsächlich kritisiert, dass Österreich seine Kaffeehauskultur als „Café d’ Europe“ politisch zu exportieren versucht hat.

Wissen es die Medien denn tatsächlich besser, soll in der Politik kein Platz für Genuss herrschen? Am Stammtisch sollte man es ruhig einmal aussprechen: Ich misstraue Menschen, die nicht genießen können – Politiker inklusive. Wer nicht genießen kann, wird nicht nur einem Diktum Konstantin Weckers zufolge ungenießbar – er gönnt auch anderen den Genuss nicht.

So sieht dann die Politik auch aus, die aus den USA, von der World Health Organisation WHO und aus einem angeblichen europäischen Konsens nach Österreich herüberschwappt: Da wird vorgeschlagen, dass man in Lokalen, vielleicht auch nicht einmal in Gastgärten mehr rauchen darf.

Wer nicht weiß, wen er wählen soll, kann ja mal die Kandidaten seines Wahlkreises oder durchreisende Spitzenpolitiker fragen, wie sie dazu stehen. Und gleich noch ein paar weitere Fragen stellen: Wie steht es damit, dass jungen Menschen ein verantwortungsvoller Umgang mit Alkohol beigebracht wird? Nehmen sie hin, dass schon zwölfjährige Kinder sich im Supermarkt mit Alkohol eindecken können; wollen sie umgekehrt wie in Amerika das „legale“ Alkoholalter auf 21 anheben? Oder sollen junge Leute Bier und Wein ab 16, Schnaps ab 18 trinken dürfen – und wissen sie eigentlich, dass das die geltende Gesetzeslage ist?

Und wie steht es mit dem Essen? Was gedenkt denn der jeweilige Politiker zu tun, damit wir weiterhin eine breite Auswahl an Obst und Gemüse haben? Welche Konzepte gibt es zur Sicherung der Nahversorgung? Wo soll unser Fleisch, wo unsere Milch, wo unser Brot und unsere Nudeln herkommen – und was tut die Politik dafür, dass wir wirklich wählen können? Fragen Sie nicht ob der jeweilige Politiker für oder gegen Gentechnik ist – da bekommen Sie eine vorgefertigte Wahlrede zur Antwort. Fragen sie lieber, ob er ein Genussmensch ist. Und ob er Genuss für etwas Politisches hält – diese Überlegung stand am Beginn von Slow Food, einer von frustrierten italienischen Kommunisten gegründeten Vereinigung. Sie hat in zwanzig Jahren weltweit mehr Positives bewirkt als der ganze Kommunismus in eineinhalb Jahrhunderten. (Erstveröffentlichung in: Kochen & Küche, September 2006)