30.6.05

Bier & Grill

Was ein richtiger Mann ist, stellt sich im Sommer an den Grill – unabhängig davon, ob auf dem Grill ein Dutzend Bratwürste oder ein ganzer Lachs brutzeln: Dazu wird Bier getrunken. Das hat mit Männlichkeitsritualen zu tun, die sich irgendwo zwischen Gramatneusiedl (nichts gegen diese nette Marktgemeinde im Bezirk Schwechat, wo zur Bratwurst das Schwechater Zwickl passt) und Seattle (dort grillten Freunde den Lachs und servierten dazu das Weissbier „El Jefe“ von Hale’s Ales) etabliert haben.
Bier passt immer, wenn gegrillt wird.
Aber bitte nicht jedes Bier – genauer: Nicht jedes Bier zu allem, was man so auf einem Grill zubereiten kann. In Deutschland wäre zum Lachs wahrscheinlich ein Pils gereicht worden, was eigentlich grundfalsch ist: Die Fette des Lachs (wie die der meisten Fische) vertragen sich schlecht mit der Bittere des Hopfens – Bier und Fisch entwickeln zusammen einen unangenehm metallischen Geschmack, der noch dazu lange anhängt. Wer Fisch grillt, sollte daher ein Bier mit wenig Hopfen dazu trinken.
Und wer kräftig schmeckendes Fleisch auf den Grill tut, ist mit einem kräftig schmeckenden Bier gut beraten: Es muss nicht unbedingt ein Helles sein – zu einem Steak passt ein dunkles Ale oder, noch besser, ein Stout.
Dazu muss man wissen: Bier ist ja nicht nur ein toller Begleiter von gegrilltem Fleisch (in vielen Fällen der einzig richtig vorstellbare) – es kann auch bei der Zubereitung eine wichtige Rolle spielen. Allerdings: Nicht alle Grill-Rezepte, in denen Bier vorkommt, bringen auch ein Bier-Gefühl in den Mund. Denn die typischen Bier-Geschmäcker ­lassen sich ohnehin schwer in Speisen umsetzen, beim Grillen noch schwieriger: Der dominierende Bier-Eindruck ist ja säuerlich-erfrischend-prickelnd, was vor allem vom CO2 (allerdings auch ein wenig vom an sich etwas niedrigeren ph-Wert des Bieres) kommt.
Dann stecken im Bier süßliche Komponenten – je nach Stil mehr oder weniger, aber im Wesentlichen vom Malz kommend.
Und schließlich die herben, bitteren Töne. Es gibt kaum eine Speise, in der man diese Eindrücke allzu intensiv dabei haben will – allenfalls in Salaten, selten in Suppen und kaum in Saucen. Tatsächlich werden die meisten Saucen, in denen der Biergeschmack als bitter wahrnehmbar ist, gleich so krachbitter, dass man sie eigentlich lieber nicht haben will. Das bittere Bier, Pils zumal, eignet sich eben nicht zum Erhitzen und reduzieren.
Natürlich will jeder, der mit Bier kocht, zunächst einmal den Biergeschmack in seine Speise bringen – und beim Grillen heißt das zumeist, dass man den Malzgeschmack eher als den Hopfengeschmack, der in den meisten Speisen ohnehin nicht sehr attraktiv wirkt, auf das Grillgut bringen will.
Die Idee, ein Spanferkel oder was immer man grillt, immer wieder mit Bier zu traktieren, damit ein wenig Biergeschmack im oder wenigstens am fertigen Fleisch haften bleiben möge, ist eine altbekannte Praxis. Sie funktioniert, wenn auch in engen Grenzen: Denn von den drei angeführten Geschmackskomponenten sauer, süß und bitter kommen beim Bespritzen des Grillguts mit Bier – ähnlich wie beim Aufgießen eines Schweinsbratens mit Bier – in Wirklichkeit vor allem die malzig-süßen Geschmacksbestandteile als schmeckbare Zutat infrage. Die Kohlensäure verdampft ja ohne weiteren Effekt; das Gegrillte soll ja auch nicht in irgend einer Weise erfrischend, prickelnd oder gar sauer schmecken. Und mit der Bittere ist es so wie schon angesprochen: Wir sind froh, keinen bitteren Bratensaft, keine bittere Sauce zu haben – und bitteres Fleisch wünschen wir uns auch nicht.
Eventuell ein bisschen ein Zusammenwirken vom im Bier enthaltenen Restzucker mit den Fleischsäften – das gibt eine schönere Bräunung und einen intensiveren Geschmack. Wir Bierliebhaber führen das auf die speziellen wundersamen Eigenschaften des Bieres zurück – aber mit ein bisschen chemischem Hintergrundwissen müsste man davon ausgehen, dass die dafür verantwortlichen Maillard-Reaktionen (die Zucker und Eiweiße zu braunen und geschmacklich sehr attraktiven Verbindungen zusammenführen) mit Zuckerwasser oder zuckerhältiger Limonade wohl ähnliche Ergebnisse brächten.
Aber würde man wirklich Zuckerwasser oder Limo als Bestandteil eines Grill-Rituals akzeptieren? Nein, es muss Bier sein, sonst ist es nicht richtig. Und dass einiges von dem Grillbier gar nicht auf dem Fleisch, sondern in der Kehle dessen landet, der dieses Fleisch zubereitet, scheint einen Teil des Spaßes auszumachen.
Kulinarisch ist das natürlich nicht der zentrale Punkt. Tatsächlich könnte das Bier beim Grillen viel mehr bewirken. Denn neben dem geschmacklichen Effekt kann das Bier im Fleisch die Wirkung einer Beize erzielen, die es weich macht und auch knuspriger. Ist ja eigentlich logisch: Zitronensaft, Marinade, zur Not auch Salz haben alle den Effekt, das Fleisch vor dem Braten, Grillen, Dünsten weicher zu machen, weil sie es leicht ansäuern. Aber es muss ja nicht unbedingt Zitronensaft sein. Da Bier bekanntlich mehr oder weniger sauer ist, kann es das Fleisch weich machen, wenn man es richtig anwendet – aber hier geht es weniger um die äußere als um die innere Anwendung:
Zum Beispiel bei einem Grillhuhn. Äußerlich mag ein gelegentliches Bestreichen mit mehr oder weniger dunklem Bier sinnvoll sein. Das Huhn und seine Haut werden aber noch besser, wenn man ihnen ein Bier vergönnt – nicht vor der Schlachtung, sondern bei der Zubereitung. Haben wir nicht gehört, dass es auch sehr saure Biere gibt – etwa ein Gueuze Lambic oder, näher liegend, die Berliner Weisse mit ihrem hohen Milchsäuregehalt? Wann immer ich in Berlin bin (oder mich Freunde aus Berlin besuchen), kommen ein paar Flaschen Schultheiss-Weisse in meinen Bier-Keller. Das ist nach meinem Dafürhalten das aromatischste von allen: Eine feine, reintönige Säure, leichte Hefearomen, kaum Alkohol und schon gar keine Bittere – es wäre schade, dieses hervorragende Bier mit irgend einem Sirup (Himbeer und Waldmeister sind üblich, Kirsch und Cassis möglich) zu verfälschen. Ich trinke dieses Bier am liebsten pur. Aber ich gönne es auch meinem Huhn.
Und zwar geht das so: Ich fülle etwas Berliner Weisse in meine Spritze, steche mit der Injektionsnadel unter die Haut der Hühnerkeulen und spritze das saure Bier vorsichtig unter die Haut. Es ist durchaus richtig, wenn sich dabei eine kleine Blase zwischen der Haut und dem eigentlichen Hühnerfleisch bildet – dann wird nämlich diese Haut knuspriger! Am besten lässt man die eingespritzten Hühnerteile noch zwei, drei Stunden rasten, damit das Bier richtig einwirken kann – dann kommen sie auf den Grill.
Meinem Freund Peter Berger von der Kampagne für Gutes Bier (KGB) verdanke ich allerdings noch ein anderes Grill-Rezept mit Bier: Das so genannte „Beer-Canned Chicken“. Das hat nichts mit Huhn aus der Dose zu tun, wie man meinen möchte, sondern mit Huhn auf der Dose – nämlich auf einer Bierdose. Die Idee ist, dass man dem Hähnchen eine Dose Bier spendiert, wobei man selber durchaus etwas davon trinken sollte, denn das Rezept verlangt nach etwa 0,2 Litern Bier. Das grillfertige Huhn wird dann über die halbgeleerte Dose gestülpt und aufrecht auf den Grill getan – während die Hitze von außen das Huhn knusprig macht, verdampft das Bier aus der Dose langsam und der Bierdunst zieht in das Huhn ein. Wenn es dann serviert wird, hat es wirklich etwas vom Biergeschmack angenommen – und angenehm zart ist es auch. Aber dazu trinken wir hoffentlich ein Fassbier und keines aus der Dose!
(Vortrag gehalten beim ÖGZ-Gastro-Forum "Feuer & Flamme" am 27. Juni 2005)

9.6.05

Verdoppelter Bierausstoß in nur sieben Jahren

Es gibt noch Biermärkte, wo sich der Ausstoß gesund entwickelt: Der Branchendienst E-Malt weist darauf hin, dass in Rumänien im wirtschaftlich extrem schwachen Jahr 1997 nur 7,51 Millionen Hektoliter Bier gebraut wurden, im Jahr 2004 dagegen schon 14,5 - also etwa eine Verdoppelung in sieben Jahren.
Trauriger sehen die westeuropäischen Märkte aus: Gleichzeitig vermeldet E-Malt, dass in Frankreich der Biermarkt in einem Vierteljahrhundert um ein Viertel geschrumpft ist.

3.6.05

Wenn die Gose nach Hannover kommt

Wie doch die Meinungen über Biere auseinandergehen können: Anfang der Woche war ich im Literarischen Salon in Hannover, wo wir ein paar der profilierteren Biere aus deutschen Braustätten verkosten konnten: Ein "5-Korn-Urkorn"-Bier aus der Riedenburger Brauerei in Bayern, ein Schwerter Porter aus der Schwerter Brauerei in Meissen, ein Altbier vom Uerige in Düsseldorf und die Ritterguts-Gose aus der Gosenschenke in Leipzig.
Und was hat die Leute zuerst einmal interessiert? Ob denn die Biere aus Hannover nicht auch interessant wären. Na ja, sind sie - aber wirklich charaktervoll, wirklich unterscheidbar sind sie nicht.
Immerhin wurde im Salon dann mehr von den Spezialitäten gekostet: Die Männer, jedenfalls die, die nicht schon beim ersten Hauch Hopfen in die Knie gehen, haben das Uerige Alt bevorzugt. Bei den Frauen fanden sich leidenschaftliche Fans des schweren German Porter aus Meissen einerseits - und Liebhaberinnen der leichten Leipziger Gose andererseits. Wahrscheinlich sind Frauen extremeren Geschmäckern gegenüber aufgeschlossener als Männer. Der Kollege von der Hannoverschen Allgemeinen hat das schäumende Bier aus Leipzig - man sagt: "Was unter den Blumen die Rose, ist unter den Biere die Gose" - jedenfalls nicht richtig verstanden: "Die im Literarischen Salon gereichte „Döllnitzer Ritterguts Gose“ ist selbst bei wohlmeinender Betrachtung eher zur sofortigen Verklappung in entlegenen Winkeln der Weltmeere geeignet denn zum menschlichen Verzehr. Die Gose, ein obergäriges Bier mit dem säuerlich-salzigen Geschmack von schalem Cidre, wäre besser das geblieben, was das Flaschenetikett der Leipziger Spezialität verrät: ein „altes Geheimrezept der Familie Goedecke“, allerdings bitte schön ohne Entsprechung im Bier und Jetzt.Doch der Österreicher Conrad Seidl ist ein toleranter Pontifex, der seiner durstigen Fangemeinde nachdrücklich Wissensdurst und Experimentierfreude predigt. Im Bieruniversum des Conrad Seidl gibt es keine schlechten Biere, nur unterschiedliche Geschmäcker, und die sind nach Überzeugung des 47-Jährigen das Maß aller Dinge."
Stimmt. Ich habe, mit Verlaub, eine ganz andere Meinung über die Gose - wie ich sie vor zwei Jahren im Business People dargelegt habe: In Leipzig gibt es ein Bier, das es nach den für uns wenig verständlichen deutschen Gesetzen eigentlich gar nicht geben dürfte: Die Gose, die 998 erstmals als Stadttrunk von Goslar erwähnt wurde. Denn dieses Bier enthält, vielleicht nicht seit damals, aber jedenfalls seit etlichen Jahrhunderten Salz und Gewürze – das sorgt für einen trockenen Gesamteindruck und macht Durst zum Weitertrinken.
Was aus Sicht der Hersteller schon immer verständlich war, andererseits aber gerade mit dem Reinheitsgebot von 1516 abgestellt werden sollte. Dumm nur, dass die Biertrinker sich nicht unbedingt vom Staat gängeln lassen wollen, welches Bier sie trinken dürfen und welches nicht.
Und so kann man in Leipzig die „Goedeckes Döllnitzer Ritterguts Gose“ kaufen – ein Getränk, das schon seit 1824 in dieser Form gebraut wird, aber nicht Bier heißen darf. Mit 3,9 Prozent ist das säuerliche Getränk ein bisschen leichter als die gewohnten Biere – und überhaupt schmeckt es ganz anders, weil unsere Vorstellung von Bier sich an den sehr reintönig schmeckenden Pilsbieren der letzten Jahrzehnte orientiert. Die Leipziger Gose ist aber anders – egal, ob sie als Flaschenbier aus Döllnitz oder (nach einem anderen Rezept, aber mit den gleichen Zutaten) aus der von der österreichischen Firma Koll eingerichteten Gasthausbrauerei am Bayerischen Bahnhof in Leipzig kommt.
Immerhin seit 1737 ist die Gose schließlich als Leipziger Spezialität bekannt. Die Gose wurde damals von umliegenden Landgütern als unausgegorenes Jungbier in großen Fässern in die Stadt gebracht, wo sie die Gosewirte in bocksbeutelartige, sehr langhalsige Flaschen füllten. Erst in der Flasche ist sie ausgereift, was – neben den Zutaten Weizenmalz, Gerstenmalz, Hopfen und obergäriger Hefe – eine Gemeinsamkeit mit dem bayrischen Weißbier darstellt.
Unvergleichlich war aber das Gärverfahren: Die Flaschen ließ man offen, im engen Flaschenhals bildete sich sodann ein Pfropfen aus Hefen und Milchsäurebakterien. Langsam wurde das Bier säuerlich und frisch, ohne sich (wie bayrisches Weißbier) mit Kohlensäure anzureichern. Nach etwa fünf Wochen war das Bier durchgegoren, der Hefepfropfen wurde weggeschnippt, das Bier getrunken. Die viele Hefe und die Milchsäurebakterien machten das Bier nicht nur angenehm weinartig zu trinken, sie hatten auch heftige Nebenwirkungen auf den Verdauungstrakt, die der Leipziger Humordichter Edwin Bormann bereits im 19. Jahrhundert andeutete: „Wennste probst der Gose Saft, Wappne dich mit Heldenkraft! Denn de weest nich, wärd dei Magen Ja und Amen derzu sagen? Drum bevor de rechte Hand Noch ums Stengelglas sich wand, Leg aus Vorsicht deine linke, Uf de Stuwendhiereklinke!“
Noch heute gibt es in Leipzig eine Gosenschenke (zur Blüte des Bierstils im ersten Viertel des 20. Jh. waren es an die 70). Sie befindet sich Menckestraße 5 in 04155 Leipzig-Gohlis. Der Inhaber Hartmut Hennebach weiß nur zu genau um die Nebenwirkungen des Gebräus. Drum weist er seine Gäste vorsichtshalber ein, wo das „Stille Örtchen“ zu finden ist, und gibt ihnen den alten Spruch mit auf den Weg: „Es ist zwar ein sehr gutes Bier, die Goslarische Gose; Doch wenn man meint, sie sei im Bauch, So liegt sie in der Hose.“ Mag sein, dass das alles nicht mit unseren Vorstellungen vom Bier und seiner Reinheit in Einklang zu bringen ist – aber ein erfrischendes Getränk ist die Gose allemal. Und weil sie eben ein bisschen Salz enthält, ist sie trocken – nach jedem Schluck kommt der Durst augenblicklich wieder. Und Herr Hennebach hebt schmunzelnd sein eigenes Glas und prostet einem zu: „Goseanna!“