Wenn die Gose nach Hannover kommt
Und was hat die Leute zuerst einmal interessiert? Ob denn die Biere aus Hannover nicht auch interessant wären. Na ja, sind sie - aber wirklich charaktervoll, wirklich unterscheidbar sind sie nicht.
Immerhin wurde im Salon dann mehr von den Spezialitäten gekostet: Die Männer, jedenfalls die, die nicht schon beim ersten Hauch Hopfen in die Knie gehen, haben das Uerige Alt bevorzugt. Bei den Frauen fanden sich leidenschaftliche Fans des schweren German Porter aus Meissen einerseits - und Liebhaberinnen der leichten Leipziger Gose andererseits. Wahrscheinlich sind Frauen extremeren Geschmäckern gegenüber aufgeschlossener als Männer. Der Kollege von der Hannoverschen Allgemeinen hat das schäumende Bier aus Leipzig - man sagt: "Was unter den Blumen die Rose, ist unter den Biere die Gose" - jedenfalls nicht richtig verstanden: "Die im Literarischen Salon gereichte „Döllnitzer Ritterguts Gose“ ist selbst bei wohlmeinender Betrachtung eher zur sofortigen Verklappung in entlegenen Winkeln der Weltmeere geeignet denn zum menschlichen Verzehr. Die Gose, ein obergäriges Bier mit dem säuerlich-salzigen Geschmack von schalem Cidre, wäre besser das geblieben, was das Flaschenetikett der Leipziger Spezialität verrät: ein „altes Geheimrezept der Familie Goedecke“, allerdings bitte schön ohne Entsprechung im Bier und Jetzt.Doch der Österreicher Conrad Seidl ist ein toleranter Pontifex, der seiner durstigen Fangemeinde nachdrücklich Wissensdurst und Experimentierfreude predigt. Im Bieruniversum des Conrad Seidl gibt es keine schlechten Biere, nur unterschiedliche Geschmäcker, und die sind nach Überzeugung des 47-Jährigen das Maß aller Dinge."
Stimmt. Ich habe, mit Verlaub, eine ganz andere Meinung über die Gose - wie ich sie vor zwei Jahren im Business People dargelegt habe: In Leipzig gibt es ein Bier, das es nach den für uns wenig verständlichen deutschen Gesetzen eigentlich gar nicht geben dürfte: Die Gose, die 998 erstmals als Stadttrunk von Goslar erwähnt wurde. Denn dieses Bier enthält, vielleicht nicht seit damals, aber jedenfalls seit etlichen Jahrhunderten Salz und Gewürze – das sorgt für einen trockenen Gesamteindruck und macht Durst zum Weitertrinken.
Was aus Sicht der Hersteller schon immer verständlich war, andererseits aber gerade mit dem Reinheitsgebot von 1516 abgestellt werden sollte. Dumm nur, dass die Biertrinker sich nicht unbedingt vom Staat gängeln lassen wollen, welches Bier sie trinken dürfen und welches nicht.
Und so kann man in Leipzig die „Goedeckes Döllnitzer Ritterguts Gose“ kaufen – ein Getränk, das schon seit 1824 in dieser Form gebraut wird, aber nicht Bier heißen darf. Mit 3,9 Prozent ist das säuerliche Getränk ein bisschen leichter als die gewohnten Biere – und überhaupt schmeckt es ganz anders, weil unsere Vorstellung von Bier sich an den sehr reintönig schmeckenden Pilsbieren der letzten Jahrzehnte orientiert. Die Leipziger Gose ist aber anders – egal, ob sie als Flaschenbier aus Döllnitz oder (nach einem anderen Rezept, aber mit den gleichen Zutaten) aus der von der österreichischen Firma Koll eingerichteten Gasthausbrauerei am Bayerischen Bahnhof in Leipzig kommt.
Immerhin seit 1737 ist die Gose schließlich als Leipziger Spezialität bekannt. Die Gose wurde damals von umliegenden Landgütern als unausgegorenes Jungbier in großen Fässern in die Stadt gebracht, wo sie die Gosewirte in bocksbeutelartige, sehr langhalsige Flaschen füllten. Erst in der Flasche ist sie ausgereift, was – neben den Zutaten Weizenmalz, Gerstenmalz, Hopfen und obergäriger Hefe – eine Gemeinsamkeit mit dem bayrischen Weißbier darstellt.
Unvergleichlich war aber das Gärverfahren: Die Flaschen ließ man offen, im engen Flaschenhals bildete sich sodann ein Pfropfen aus Hefen und Milchsäurebakterien. Langsam wurde das Bier säuerlich und frisch, ohne sich (wie bayrisches Weißbier) mit Kohlensäure anzureichern. Nach etwa fünf Wochen war das Bier durchgegoren, der Hefepfropfen wurde weggeschnippt, das Bier getrunken. Die viele Hefe und die Milchsäurebakterien machten das Bier nicht nur angenehm weinartig zu trinken, sie hatten auch heftige Nebenwirkungen auf den Verdauungstrakt, die der Leipziger Humordichter Edwin Bormann bereits im 19. Jahrhundert andeutete: „Wennste probst der Gose Saft, Wappne dich mit Heldenkraft! Denn de weest nich, wärd dei Magen Ja und Amen derzu sagen? Drum bevor de rechte Hand Noch ums Stengelglas sich wand, Leg aus Vorsicht deine linke, Uf de Stuwendhiereklinke!“
Noch heute gibt es in Leipzig eine Gosenschenke (zur Blüte des Bierstils im ersten Viertel des 20. Jh. waren es an die 70). Sie befindet sich Menckestraße 5 in 04155 Leipzig-Gohlis. Der Inhaber Hartmut Hennebach weiß nur zu genau um die Nebenwirkungen des Gebräus. Drum weist er seine Gäste vorsichtshalber ein, wo das „Stille Örtchen“ zu finden ist, und gibt ihnen den alten Spruch mit auf den Weg: „Es ist zwar ein sehr gutes Bier, die Goslarische Gose; Doch wenn man meint, sie sei im Bauch, So liegt sie in der Hose.“ Mag sein, dass das alles nicht mit unseren Vorstellungen vom Bier und seiner Reinheit in Einklang zu bringen ist – aber ein erfrischendes Getränk ist die Gose allemal. Und weil sie eben ein bisschen Salz enthält, ist sie trocken – nach jedem Schluck kommt der Durst augenblicklich wieder. Und Herr Hennebach hebt schmunzelnd sein eigenes Glas und prostet einem zu: „Goseanna!“
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