Mahlzeit, Herr Bundeskanzler!
Was ist nicht gespottet worden in den letzten Wochen über Bundeskanzler Alfred Gusenbauers Leibesfülle, seine Kenntnis guten Weins und guten Essens – und über seine Diäten gegen die Folgen dieser Genüsse! Oder über die Gesundheitsministerin, die sich zu Schweinsbraten und einer gelegentlichen Zigarette bekannt hat. Sehr zu Unrecht.
Es ist doch alles Käse. Als junger Politikredakteur bin ich vor bald einem Vierteljahrhundert zu der einen oder anderen Bergwanderung mit dem damaligen Wirtschaftsbundgeneralsekretär Wolfgang Schüssel eingeladen gewesen – er macht sich noch jetzt gelegentlich über meine mangelnde Schwindelfreiheit und Trittsicherheit lustig. Und ich erinnere mich noch jetzt gelegentlich an den Käse, den er mir damals präsentiert hat. Nein, nicht das, was Sie denken – sondern ganz im Wortsinn: Je nach Region gab es Tiroler oder Pinzgauer Bergkäse, in der Steiermark Steirerkas, der mich auf Grund seiner Schärfe besonders nachhaltig beeindruckt hat. Ich durfte mich später, da war Schüssel schon Bundeskanzler, mit einer Bierverkostung auf der Schwarzalm in Zwettl revanchieren. Man hat in der Öffentlichkeit nicht viel darüber diskutiert, aber Wolfgang Schüssel ist auch ein Mensch des Genusses.
Alfred Gusenbauer ist das erst recht. Schon als Juso-Sekretär hat er mich einmal eingeladen und mir seinen Käse aufgetischt. Auch das ist nicht politisch gemeint: Dem heutigen Bundeskanzler verdanke ich die ersten Erfahrungen, die ich mit der bewussten Kombination von Bier und Käse gemacht habe – ein würziger griechischer Schafskäse, mit einem kräftigen Schuss steirischen Kernöls angerichtet, zerdrückt und aufs Bauernbrot, dazu ein herzhaftes Märzenbier: Mit diesem einfachen Mahl hat er mir einen neuen Geschmack eröffnet.
Viel später dann ist Gusenbauer als Rotweinkenner und Spargelesser bekannt geworden – und verspottet worden.
Man tut ihm damit unrecht. Ebenso wie man der Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky zu unrecht vorwirft, ein falsches Vorbild zu sein. Die Ärztin definierte sich selbst im "Ö1-Mittagsjournal" nicht nur als "Gelegenheitsraucherin", sondern auch als "leidenschaftliche" Schweinsbraten-Esserin.
Es steckt schon viel Doppelmoral dahinter, wenn Journalisten, selber einem guten Tropfen nicht abgeneigt und vielfach Kettenraucher, sich darüber empören, dass Politiker keine Vorbilder an Askese sind. Bitteschön: Das ist eine gute österreichische Lebensart, gepflegt von Leopold Figl vor 50 und von Fred Sinowatz vor 25 Jahren – beide sind mit dem öffentlichen Verzehr deftigen Essens, begleitet von einer angemessenen Menge heimischen Weins ziemlich populär geworden.
Es stimmt nämlich keineswegs, dass die Bürger sauertöpfische Politiker mögen – ein bisserl abnehmen durch Sport (Fred Sinowatz als Unterrichtsminister mit seiner Radtour in den siebziger Jahren) oder durch Alfred Gusenbauers Krautsuppen-Diät mag ja zwischendurch passen. Aber im Allgemeinen sind uns Genussmenschen in Regierungsämtern lieber. Weil ein gesundes politisches Gespür sagt, dass Genießer großherzig genug sind, auch anderen den Genuss zu gönnen: Keine Zwangsbeglückung durch von oben verordnete Eintopf-, Fleischlos- oder Alkoholfrei-Tage, die die Älteren sowieso schon bedenklich an die unselige Kriegswirtschaft erinnern. Und Nichtraucherschutz mit Augenmaß – niemand mag verqualmte Lokale, dass Raucher aber gleich ausgesperrt werden und den Tabak nur in einem Anstandsabstand vor dem Lokaleingang genießen sollen, ist eben ein typisches Beispiel für eine Überregulierung, wie sie nur genussfeindlichen Beamten einfallen kann, die weit, weit weg von unserer Lebenswirklichkeit an ihren Gesetzes- und Verordnungstexten schreiben. Der Vorschlag, Alkohol generell als Gift zu brandmarken, ist nur schubladisiert – er kann ebenso rasch wieder auf den Tisch kommen wie ein generelles Rauchverbot. Und: Weder ich noch meine Familie haben besondere Vorlieben für Schokoriegel – verbieten lassen wollen wir sie uns aber ebenso wenig wie die Werbung dafür. Genießen heißt ja auch: Wählen können, was man mag und was nicht. In diesem Sinne: Mahlzeit, Herr Bundeskanzler!
(Erstveröffentlichung in: Kochen & Küche, März 2007)